Fachtag kritisiert routinehafte Anwendung pränataler Diagnostik!

23.02.2010
Das Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik hat die Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes und das neue Gendiagnostikgesetz kritisiert. Auf einer vom AWO Bundesverband organisierten Fachtagung diskutierten mehr als 100 Teilnehmer/innen die am 1. Februar 2010 in Kraft getretenen neuen Regelungen für pränataldiagnostische Untersuchungen (PND), mit denen der Gesetzgeber versucht, auf die Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation - insbesondere auf die "Spätabbrüche" - zu reagieren. Die Fachtagung wurde von der AKTION MENSCH gefördert.

Die im Netzwerk zusammengeschlossenen Organisationen kritisieren, dass durch die neuen gesetzlichen Regelungen die routinehafte Anwendung pränataler Diagnostik nicht in Frage gestellt wird. Eine Begrenzung der Anwendung ist nur bei Diagnosen vorgesehen, die sich auf Lifestyle-Eigenschaften (wie Haar- oder Augenfarbe) oder auf Krankheiten beziehen, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen können, nicht aber auf angeborene Behinderungen und Krankheiten. Für den überwiegenden Teil dieser pränatal diagnostizierten Erkrankungen und Behinderungen sind aber keine Therapien möglich, so dass diese Regelungen die Möglichkeit der Selektion von Ungeborenen mit einem Handicap durch Pränataldiagnostik nicht verhindern können. Dennoch bieten die Gesetzesänderungen Ansatzpunkte für einen reflektierteren Umgang mit pränataler Diagnostik. Dazu zählen:

° Ausführlichere Aufklärungspflichten des Arztes/der Ärztin vor einer Diagnostik fördern eine Entscheidungsfindung der schwangeren Frauen und ihrer Partner im Sinne einer informierten Zustimmung. Auch das Recht auf Nichtwissen ist erstmalig gesetzlich fixiert..
° Die schriftliche Einwilligung vor der Anwendung genetischer pränataler Diagnostik zeigt, dass der Einsatz vorgeburtlicher Diagnostik kein Routinebestandteil der allgemeinen Schwangerenvorsorge ist.
° Der geforderte Hinweis, respektive die Vermittlung zu einer unabhängigen psychosozialen Beratung und Selbsthilfegruppen von Menschen mit Behinderung bietet die Chance, den medizinischen Blick auf Krankheiten und Behinderungen durch andere Perspektiven zu ergänzen.

Die ExpertInnen kritisierten, dass die deutsche Gesellschaft insgesamt noch weit entfernt ist von einem informierten Umgang mit der Anwendung pränataler Diagnostik: Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2006 belegt ein weit verbreitetes Unwissen von Schwangeren, die vorgeburtliche Diagnostik nutzen, diese Verfahren aber als allgemeinen Gesundheitscheck oder gar als Therapieangebot für das werdende Kind missverstehen.
Das Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik wird die Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur Aufklärung vor, während und nach Inanspruchnahme der Diagnostik, sowie die Wahrnehmung einer ergänzenden und unabhängigen psycho-sozialen Beratung und die Regelungen zur informierten Zustimmung bzw. zum Recht auf Nichtwissen begleiten und sich weiter für einen kritischen Umgang mit Pränataldiagnostik einsetzen.

Info:
Das Netzwerk gegen Selektion durch Pränatal­diagnostik ist ein bundesweiter Zusammenschluss von rund 300 engagierten Organisationen und Einzelpersonen aus den Bereichen Schwangerschaftsberatung, medizinische Berufe (Ärztinnen und Hebammen), Frauengesundheitsbewegung und Selbsthilfe. Neben dem AWO-Bundesverband e.V. gehören ihm u.a. der Deutsche Hebammenverband und der Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte (BVKM) an.
Gemeinsam ist ihnen die Kritik gegenüber
-der routinemäßigen Einbindung der Pränataldiagnostik in die allgemeine Schwangerenvorsorge,
- dem am sog. Risiko orientierten Umgang mit schwangeren Frauen,
- und den selektiven Wirkungen vieler vorgeburtlichen Untersuchungen.
Nähere Informationen: Harry Kunz 02441 - 6149, sprecherinnen@netzwerk-praenataldiagnostik.de

Pränataldiagnostik (PND) bezeichnet Untersuchungen des ungeborenen Kindes während der Schwangerschaft. Ein Teil dieser Untersuchungen fahndet nach vorgeburtlich erkennbaren Krankheiten oder Behinderungen, für die überwiegend keine therapeutische Optionen bestehen und die daher meist in eine Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch münden.

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