AWO Weser-Ems: Trendwende in der Altenpflege nicht in Sicht!

10.01.2012

Arbeiterwohlfahrt widerspricht Äußerungen von Niedersachsens Sozialministerin Özkan / Forderung nach schnellem Handeln

Oldenburg/Hannover. Sozialministerin Aygül Özkan hat in diversen Presseberichten am Montag jegliche Verantwortung für die niedrigen Pflegesätze in Niedersachsen zurückgewiesen und macht eine Trendwende in der Altenpflege aus. Dem widerspricht Dr. Harald Groth, Vorsitzender des AWO Bezirksverbandes Weser-Ems: "Die Ministerin trägt sehr wohl eine politische Verantwortung für die niedrigen Pflegesätze und die Zuspitzung in Niedersachsen, denn sie hat ihre Möglichkeiten der Moderation und Rechtsaufsicht zur Lösung der Probleme nicht wahrgenommen". Özkan entziehe sich mit positiv klingenden Hinweisen ihrer Verantwortung, die aber nur Randbereiche der Pflege betreffen und nicht die Kernaufgabe, einer auskömmlichen Finanzierung der Pflege, lösen.

Mit dem Vorwurf, die niedersächsischen Pflegeeinrichtungen hätten ja gar nicht richtig um die Pflegesätze verhandelt, schiebt die Ministerin die Verantwortung auf die Träger zurück. "Dieser Vorwurf ist mehr als sarkastisch, denn viele Träger sind aus einem einzigen Grund nicht mehr in Pflegesatzverhandlungen eingetreten: Sie mussten befürchten, noch weniger als zuvor zu bekommen, weil Einrichtungen in der Umgebung durch Dumpinglöhne billiger sind und sich daran orientiert wurde", erläutert Thomas Elsner, Verbandsgeschäftsführer der AWO Weser-Ems, die Träger von 21 stationären Altenhilfeeinrichtungen ist. Dass die Pflegesätze in Niedersachsen über Jahre hinweg nicht auskömmlich sind, beweist die hohe Zahl der Insolvenzen von Altenhilfeeinrichtungen in Niedersachsen, alleine in der Region Weser-Ems mussten 21 zum Amtsgericht gehen. Meist wurden dann Sanierungspläne erarbeitet, die hauptsächlich eine Absenkung der Löhne zum Inhalt hatten oder die Einrichtungen wurden an andere Träger verkauft, ebenfalls mit dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter weniger Lohn erhalten.

Dass nun kurzfristig Verhandlungen über die Höhe der Pflegesätze geführt werden sollen, begrüßt die Arbeiterwohlfahrt ausdrücklich, auch der Hinweis, dass Tariflöhne in den Pflegesätzen berücksichtigt werden sollen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. "Gleichwohl hätte das schon viel eher passieren können und müssen, denn schon 2009 urteilte das Bundessozialgericht, dass ein Unterlaufen der Tarifautonomie mit dem Negieren der Tariflöhne in den Pflegesätzen nicht zulässig ist", betont Dr. Groth. Der Vorschlag einer niedersächsischen Pflegekasse im Rahmen einer "Konversionsphase" neben den allgemeinen Preisverhandlungen möglichst landesweit zu klären, wie man die seit Jahren aufgewachsenen Unterschiede zusätzlich ausgleichen kann, wurde von der Ministerin bis dato allerdings nicht unterstützt.

Niedersachsens Pflegesätze liegen rund 20 Prozent unter denen anderer Bundesländer, was Ministerin Özkan einräumt. Ein Beispiel: Ein 80-Betten-Haus in Niedersachsen bekommt jeden Tag pro Platz rund 20 Euro weniger Pflegesatz und muss genau die gleichen Bedingungen an Ausstattung vorhalten wie in Nordrhein Westfalen oder Baden Württemberg. Das ergibt pro Jahr rund 500.000 Euro weniger finanzielle Mittel und das obwohl dieselbe Arbeit und dieselben rechtlichen Anforderungen erfüllt werden müssen. Die einzige Stellschraube, um Kosten einzusparen, sind die Personalaufwendungen. Das heißt für die Belegschaft: Keine Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld, Heraufsetzen der wöchentlichen Arbeitszeit, Herabsenken der betrieblichen Altersvorsorge und letztendlich der monatlichen Löhne etc., um eine Insolvenz zu vermeiden. Die Kommunen haben sich angesichts ihrer Tarifbindung vielfach von defizitären Einrichtungen getrennt und sie denen überlassen, die durch Tariflosigkeit niedrigere Löhne generieren können. Andere große, kirchliche Träger verkaufen ihre Heime an diejenigen, die ebenfalls untertariflich bezahlen oder werfen gemeinnützige Gesellschaften, die Träger von Heimen sind, aus dem Verband, weil deren untertarifliche Bezahlung nicht in die ethische Wertegebundenheit passt.

Dem Hinweis der Ministerin auf gestiegene Ausbildungszahlen im Bereich Pflege auf Grund von höheren Zuschüssen zum Schulgeld widerspricht die Arbeiterwohlfahrt ebenfalls. Diese gestiegenen Zahlen seien lediglich auf die Tatsache zurückzuführen, dass die große Koalition in Berlin am Ende der Wahlperiode die Umschulung zur/zum Altenpflegerin/er aus Mitteln der Agentur für Arbeit wieder eingeführt hat und Niedersachsen nach Jahren des Zögerns das dritte Ausbildungsjahr nun ebenfalls fördert. "Das Schulgeld muss in Niedersachsen aufgehoben werden, damit die Altenpflege auch als Erstausbildung wieder interessant wird. Des Weiteren muss endlich eine Ausbildungsplatzumlage eingeführt werden, damit alle Pflegebetriebe sich an dem dringend notwendigen Bemühen um Fachkräfte beteiligen und nicht nur diejenigen, die selber ausbilden", fordert AWO Verbandsgeschäftsführer Thomas Elsner.

"Die Ministerin kann die für die Pflege notwendige Trendwende in Niedersachsen für 2012 noch schaffen. Dann muss sie sich aber endlich der tatsächlichen Probleme in der Pflege in ihrem Zuständigkeitsbereich annehmen", resümiert Dr. Groth.
 
Kontakt:

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Hannelore Hunter-Roßmann
Klingenbergstraße 73
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